Deutsch Leistungskurs 2021
Rezeption und Produzieren sind die beiden Kompetenzbereiche, um die sich die Inhaltsfelder im Deutschunterricht drehen. Wir lesen, hören zu, schreiben und sprechen. Das dramatische Gedicht „Nathan der Weise“ (1779) von Lessing wird – na klar – gelesen. So auch im Deutsch Leistungskurs in der Sekundarstufe an unserer Schule.
Neben diesen Aktivitäten produzieren wir aber auch – und das, wann immer es der Lerninhalt zulässt. Dabei kann es sich um eine szenische Inszenierung handeln, es kann aber auch ein schriftliches Produkt sein. Ziel des produktiven Umgangs mit dem Drama ist ein ganz individueller, kreativer Zugang zum Text, zur dramatischen Gattung, der aus dem Gedankengut der SchülerInnen wächst. Es wird gespielt, verändert, fantasiert – ganz egal, wie und was – die Hauptsache ist: Wir fühlen, was wir produzieren.
Der folgende Text zeigt ein besonders herausragendes Schülerprodukt von Christian Falkenhain, der eben diesen besagten kreativen Zugang zum dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ gefunden hat. Das dazugehörige Bühnenbild wurde auf Grundlage des Textes von Malin Schürmann entworfen. Vorhang auf für den ersten Auftritt vor dem ersten Auftritt des dramatischen Gedichts „Nathan der Weise“:
Nathan der Weise
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen
Ein Vorspiel von
Christian Falkenhain
Erster Auftritt, erster Aufzug
Sultan Saladin, Sittah (seine Schwester), Sittahs Vertraute, ein Mohr, der Tempelherr, verschiedene Wachen, Mamelucken und andere Muselmänner
Im Palast des Sultan Saladin. Ein großer, rechteckiger Saal mit orientalischen Ornamenten. Im hinteren Bereich einige Stufen, die zu einem leicht erhöhten Raumteil führen, der von einer Apsis bekrönt wird. Mittig über dem Saal ragt eine Kuppel in die Höhe. Der Saal ist zweistöckig, in der oberen Etage befinden sich große, rot-weiße Rundbögen, hinter denen zahlreiche, schwarzgekleidete, verschleierte Frauen jeweils zu zweit oder zu dritt schnell umhergehen. Im unteren Teil des Raumes sind zahlreiche Mameluken und andere Muselmänner mit Turbanen, Lanzen und langen, bunten Gewändern versammelt. Sultan Saladin selbst sitzt in der Apsis auf einem großen, goldenen Thron. Er trägt einen cremegrünen, großen Turban und ein langes, türkisgrünes Gewand, sowie arabisch anmutende, spitze Schuhe. Neben ihm stehen zu beiden Seiten jeweils ein Sklave mit dunkelrotem Gewand, sie halten in beiden Händen einen langen Stab, an dessen Ende sich große Pfauenfedern befinden, mit denen sie dem Sultan Luft zu fächern. Sittah steht am Rand der Apsis an einer großen, dunkelgrünen Steintür. Sie trägt, anders als die anderen anwesenden Frauen, ein dunkelblaues, um den Kopf geschlungenes Tuch, welches durchaus noch ihre orientalische Erscheinung und ihre dunklen Augen zeigt. Neben ihr steht eine weitere Frau, die ebenfalls nur teilweise verschleiert ist. Beide Frauen unterhalten sich leise.
Zunächst gehen noch einige verschleierte Frauen in gleich großen Gruppen am vorderen Rand der Szene von einer Seite zur anderen.
Leises Geraune geht durch die Menge. Mit der Zeit wird das Geraune immer lauter. Schließlich guckt Saladin seine Schwester an und nickt ihr kurz zu. Diese verschwindet darauf mit der anderen Frau hinter der grünen Tür. Aus einer weiteren Tür am vorderen, linken Bildrand, aus der bisher die verschleierten Frauen gekommen waren, tritt nun ein Mohr in einem langen, in dunklen Farben gehalten Gewand und mit einem großen Turban auf dem Kopf. Die Menge wendet sich ihm zu und verstummt. Der Mohr hält einen langen, goldenen Stab in der Hand, auf dessen oberen Ende ein Halbmond mit einem Stern angebracht ist.
Er tritt in die Mitte des Saales und geht durch einen breiten Gang, den die stehende Menge bis vor die Stufen der Apsis gebildet hat. Er verbeugt sich tief vor Sultan Saladin, wendet sich zur Menge, stößt den Stab zweimal mit lautem und dumpfem Klang zu Boden und ruft laut:
Mohr:
Curd von Stauffen!
Der Tempelherr wird von zwei Wachen durch dieselbe Tür in den Saal herein und dann bis vor die Stufen geführt. Die Wachen werfen ihn auf die Knie vor die Stufen.
Sultan Saladin:
Meine Herrlichkeit strahlet über Jerusalem. Ich habe diese Stadt durch Gottes Hilfe zurückerobert, den Muselmännern steht sie zu, ihren ist sie geschenkt, ihnen gehöret sie in Ewigkeit. Kein Recht wäre gerechter, als das meine, diese Stadt zu beherrschen und dich niederzustrecken. Pause: Curd von Stauffen! Durch meine Gnade sollst du frei sein. Deine Vergehen, die Gott nicht vergeben kann, sollen dir durch meine große Huld vergeben sein. Dein Verdienst ist Tod, dein Lohn ist Leben. Durch mich gehe fort und verlasse diese Stadt!
Das Geraune der Menge beginnt von neuem, diesmal verwundert und lauter als zuvor. Die Wachen führen den Tempelherren wieder aus dem Saal. Sultan Saladin erhebt sich langsam und beschwerlich. Die versammelte Menge verbeugt sich vor dem Sultan, der ebenso langsam wie zuvor zur Tür der Apsis hinaus geht. Die anwesende Menge verlässt den Saal zu beiden Seiten. Sobald dieser leer ist, tritt Sittah mit der zweiten Dame aus der Tür hinaus, zurück in den Saal.
Sittah:
Was hat er da getan? Wäre heute tatsächlich der Tag gekommen, da Saladin, mein Saladin einen Christen begnadigt und ihn vor dem Tode bewahret?
Sittahs Vertraute:
Ach Sittah ich kann nicht beschreiben, wie sehr er eurem Bruder ähnelt, gewiss ist es Saladins Erinnerung an ihn, die ihn zu dieser Entscheidung berief.
Sittah:
Du hast ja recht, kein anderer Grund könnte sich finden lassen, den Saladin zu so etwas bewegen könnte.
Sittahs Vertraute:
Wäre es denkbar, selbstverständlich denkbar nur, dass sich die Möglichkeit ergäbe, diesen Tempelherren als Sprößling von des Sultans Bruder wohl zu betrachten? Das er seiner Hoheit eigen Fleisch und Blute wohl noch mehr sei?
Sittah beleidigt:
Dies zu bedenken lässt mich erröten. Wie könnten wir uns anmaßen derartiges über den heimgegangenen Bruder auch nur zu spekulieren.
Sittah verlässt die Szene rasch durch die linke Tür.
Zweite Szene
Daja, Recha, der Tempelherr nebst seinem Rosse und zwei Sklaven von Nathan
Gleißender Sonnenschein, strahlend blauer Himmel. Im Vordergrund ein großes, palastartiges, klassizistisches Haus mit Neorenaissancezügen. Im Hintergrund Palmen, hinten rechts eine orientalische Stadt, bestehend aus typischen Lehmhäusern mit Dachterrassen in einer leichten Hügellandschaft. Darüber thront der Tempelberg, dessen, mit Halbmonden gezierten, goldenen Kuppeln und Minarette einen deutlichen Kontrast zu den, weiter vorne liegenden, mit Kreuzen bekrönten Kirchen bilden. Hinten links einige Dünen und ein sandiger Pfad, auf der einige Kamele und deren, orientalisch anmutende Führer umhergehen. Ab und zu hört man leise, arabische Gebetsgesänge aus der Stadt.
Das Haus hat zwei Etagen. Ein korinthischer Portikus, der weit nach vorne ragt, präsentiert die, zwischen den herrschaftlichen Säulen liegende, monumentale Doppeltür, welche sich über beide Etagen des Gebäudes erstreckt. Über dem Portikus ist das Gebäude um ein weiteres Stockwerk erhöht. Zwei Seitenflügel bilden einen großen Ehrenhof, in dem ein mit Palmen und anderen Wüstenpflanzen gezierter Garten steht. Ein zentraler Weg, welcher mittig durch den Garten führt, und lediglich in der Mitte des Gartens durch einen kleinen plätschernden Springbrunnen unterbrochen wird, führt direkt zum Portikus, über dessen fünf Stufen ein großer Perserteppich bis in den sandigen Garten reicht.
Vor dem Garten liegt ein weiterer sandiger Weg, der auf der linken Seite hinter einer Gruppe Wüstengewächse, die Bühne seitlich verlässt. Rechts schlingt sich der Weg um das Haus herum und kann vom Zuschauer als Weg in die Stadt vermutet werden. Die ganze Szene ist in Sonnengelb- und Lichtblautönen gehalten. Ein großes goldenes Gitter mit Doppeltor trennt den Garten vom Weg.
Daja tritt in einem langen, hellgelben Gewand gekleidet mit einem großen, rötlichgelben Tonkrug in der Hand aus einer kleinen weißen Tür des linken Seitenflügels, welche von Dornenranken umgeben ist und schwebt leichtfüßig zu dem Brunnen. Sie taucht den Krug in das klare, kühle Wasser des Brunnens und stellt ihn anschließend auf den Rand desselben.
Daja freudig bewegt, den Blick auf die Stadt gerichtet:
Sonnenstrahlen küssen die goldenen Kuppeln, Morgentau liebkost der Palmen
glitzernde Blätter. Ist nicht der Morgen des Tages schönste Zier? Ist er nicht lieblicher und holder denn jed‘ and’re Stund? Des Muselmanns Mond ist gesunken, die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht. Welch Schwermut könnte diese Stunde
trügen? Sie hält inne, schaut sich betrübt um, hebt gefühlvoll die Hand an die Stirn: Doch wo mag
er weilen? Wo mag er sein? Laut, gefühlvoll, bewegt, mit ausgebreiteten Armen, dem Publikum
entgegen: Nathan! Nathan! Wo weilet ihr? Wo seid ihr? Sei’s möglich, euch
wiederzusehen? Wann nur werdet ihr heimkommen?
Wann durch der Dünen Kargheit herrlich schreiten? Wann uns endlich wieder
heimkehren? Mit dem Gefolge, den Kamelen und all den Herrlichkeiten, die ihr eurer
Recha stets aus dem fernen Babylon mitbringet. Bekümmert, klagend: Die Tochter
verzehrt sich dem liebenden Vater, grämendes Unglück lastet der Seele, marternde
Schmerzen drücken das Herze, Tränen der Trauer erfüllen ihr Aug. Wie könnt ohn‘
Euch sie je wieder Freude fühlen? Von Trauererfüllt sinkt sie gleich neben den Krug auf den
geräumigen Brunnenrand. Nach vorne gelehnt verbirgt sie das schluchzende Gesicht in den Händen.
Wenig später beginnt Rauch aus, zunächst einem, dann mehreren Fenstern des Obergeschosses, des linken Seitenflügels zu steigen.
Recha aus dem Haus, aufgeregt, kraftlos:
Hilfe! Hilfe! Zunehmend panischer: Mein junges Leben! Nicht heute, nicht heute schon darf es mir entrissen werden. Bin ich denn nicht noch gar zu jung, um dieser Welt zu entschlafen? Helft mir! Helft mir! Welch schreckliche Schande, schändliche Schmerzen erscheinen dem seligen Auge. Rastloses Rasen folgt der Flehenden, sie zu empfangen lodert endloses Leid.
Daja springt auf, schaut erschrocken zu dem Fenster:
Recha! Geliebte Recha! Welche Qualen musst du erleiden? Ah! Was sieht mein Aug? Flackerndes Feuer, flammendes Licht! Recha, komm heraus! Komm heraus aus der Flammen Meer.
Recha verzweifelt:
Könnt ich’s doch nur! Gitter der Glut, goldenes Licht umhüllet mich! Ist’s des Todes Strafe oder des Vaters erbarmender Ausweg aus irdischen Qualen? Wer kann mich jetzt noch retten?
Daja:
Rette die Recha. Sei ihr gnädig himmlischer Herr. Einen Engel entsende uns, sie zu befreien!
Durch Rechas kraftloses Schreien angelockt, reitet der Tempelherr kühn auf einem stattlichen Ross aus der Stadt herbei. Er ist in einen langen weißen Umhang gekleidet, auf dem sich ein großes, rotes griechisches Kreuz befindet. Er hat blondes, zerzaustes Haar. Daja eilt nach dem goldenen Tor und öffnet dieses schnellstmöglich.
Daja:
Edler, Ihr seid der Retter, den der Herr uns sendet! Ihr seid der barmherzige Engel!
Der Tempelherr galoppiert schwungvoll in großen Schritten über den breiten Hauptweg über den Brunnen hinweg durch die Haupttür des Portikus, die von zwei Mohren in weißen Sklavengewändern geöffnet wird, in das Haus hinein. Durch die, sich öffnende Tür verschwindet der Tempelherr in den Flammen.
Daja rastlos umhergehend:
Ein barmherziger Engel befreit die Gefangene. Er eilt nach der Bedrängten, hilft der Hilflosen, rettet die Recha aus ihrer Qual, dass ihr das Martyrium erspart bleibe.
Des Pferdes angsterfülltes Wiehern unterbricht Daja. Der Tempelherr eilt schwungvoll mit der ohnmächtigen Recha auf dem Arme aus dem Haus. Sie trägt ein lichtblaues, glitzerndes Kleid, dessen Ende angebrannt ist und raucht. Ihr langes, helles Haar weht im Wind. Als er sie auf den Rand des Brunnens absetzt, wacht sie auf und schaut ihn mit einem verträumten Blick an.
Recha verträumt, schwach:
Mein Engel! Mein barmherziger Engel, dir gehört meine Seele - in Ewigkeit!
Daja ist selig vor Freude und hält nun Recha im Arm. Im Hintergrund verschwindet der Rauch aus der Halle, das Pferd liegt tot danieder. Der Vorhang schließt sich.
Ende der Szene